Although I feel a lot older I’m just 23 (Milow: Born in the Eighties)

Ich habe in vier Jahrzehnten, zwei Jahrhunderten und zwei Jahrtausenden gelebt. Und das alles mit gerade mal Anfang 20. Ich bin ein Kind der Achtziger. Meine Kindheit und Jugend war – rückblickend betrachtet – behütet, aufgeräumt und glücklich. Eigentlich bin ich im richtigen Alter, um sowohl ein wenig Weisheit aus früheren Jahrzehnten zu besitzen als auch das nötige Know-How aus dem Heute mitzubringen. Und trotzdem halte ich viel mehr an ersterem fest als stolz auf letzteres zu sein.

Menschen, die doppelt so alt sind wie ich, fragen sich vermutlich zu Recht, wie jemand so Junges wie ich beinahe täglich die Worte „Himmel, ich werde alt!“ in den Mund nehmen kann und dabei auch noch total überzeugt wirkt. Das einzige, was mich dabei beruhigt und mich nicht erschrocken über mich selbst werden lässt, ist die Tatsache, dass ich damit nicht alleine bin. Im Gegenteil – es scheint vielen aus meiner Generation so zu gehen. Die Aussage „früher war alles besser“ ist wohl doch nicht mehr nur unseren Großeltern zuzuschreiben. Es war eben auch heute früher alles besser. Auch wenn wir heute die Freiheit haben, uns nicht nur in der Vergangenheit zu suhlen, sondern uns auch über die Gegenwart zu freuen und die Zukunft herbeizusehnen.

Wie war das denn früher, als man jung war und seine Freunde sehen wollte?
Entweder hat man sich des guten alten Festnetztelefons bedient, teilweise sogar noch mit Wählscheibe und nicht mit Tasten ausgestattet, und hat angerufen. Oder aber – und das war die von mir bevorzugte Variante – man ist einfach aus dem Haus gegangen und hat bei seinen Freunden geklingelt. Oder traf sie ohnehin schon auf der Straße, im Garten oder im Garagenhof, wo sie munter Fußball spielten. Dann ist man einfach draußen geblieben oder man ist zu ihnen nach Hause gegangen. Und abends kam man dann irgendwann wieder heim. Das alles, ohne dass die Eltern unbedingt wussten, wo wir gerade waren, sondern selbst nur Vermutungen aufstellen konnten. Wenn wir unterwegs waren, sind wir kurz in eine Telefonzelle verschwunden, um daheim anzurufen.
Und heute?
Heute verabredet man sich über facebook, teilt sich im Sekundentakt via WhatsApp mit, wo man ist und ist für die Eltern bequem über eine App zu orten. Auf der Straße spielt auch keiner mehr und das Festnetztelefon ist längst dem Smartphone gewichen. Und auch gelbe Telefonzellen sucht man heute vergeblich. Das einzige was man findet, sind verwaiste Telefonsäulen in Telekom-rosa.

Wie haben wir denn früher in der Schule lesen und schreiben gelernt?
Schon in der ersten Klasse wurde von uns erwartet, nach einem halben Jahr alle Buchstaben zu kennen und zu können. Ich habe meine ersten Schreibversuche noch mit Kreidestift auf einer Schiefertafel unternommen und daheim Wörter im Buchstaben-Setzkasten zusammengelegt. Für Referate haben wir auf Folien für den Tageslichtprojektor geschrieben und Plakate gebastelt. Und Rechnen haben wir mit Spielgeld glernt, das aus Papier-DM bestand.
Und heute?
Heute gibt es ganze Schulen, in denen die Kinder nur noch per iPad lernen. Wo nicht mehr gelehrt wird, wie man einen Füller richtig in der Hand hält, sondern Diktate per Fingerwisch auf einem Touchdisplay geschrieben werden. Arbeitsblätter brauchen nicht mehr mit Bleistift ausgefüllt und an den Lehrer zurückgegeben werden, sondern werden per iCloud direkt vom eigenen iPhone zum Laptop desselben geschickt. Einen Tageslichtprojektor sucht man in den Klassenzimmern vergebens, stattdessen gibt es Beamer und PowerPoint. Und mit der D-Mark können heutige Schüler auch nichts mehr anfangen.

Wie haben wir denn früher unsere Freizeit gestaltet?
Wir haben Kassetten mit Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg gehört, unsere Lieblingsmusik aus dem Radio aufgenommen – und uns dabei tierisch geärgert, wenn der Moderator mal wieder in unser Lieblingslied reinquatschte – und Fernsehserien geschaut, die per Hand gezeichnet waren. Wenn wir diese mal nicht sehen konnten, haben wir sie auf Videokassette aufgenommen und später geschaut. Im Urlaub entwickelten sich jahrelange Brieffreundschafen und zur Erinnerung haben wir uns auf die 36 Aufnahmen eines Fotofilms beschränkt – wobei erst nach dem Entwickeln die richtige Spannung aufkam, was man eigentlich fotografiert hatte. In Zügen wurde noch geraucht und wenn wir Glück hatten, haben wir bei McDonalds eine Juniortüte bekommen. Wer ganz brav war, durfte sogar am Computer spielen – der mit dem Betriebssystem DOS und einem Diskettenlaufwerk ausgestattet war.
Und heute?
Heute stehen Jugendliche mit Liedern in den Charts, deren Original es bereits vor fünfzehn Jahren gab und die Top10 unserer Jugend läuft heute auf Oldie-Sendern. Kinderfilme gibt es computeranimiert und in 3D und wer seine Lieblingsserie verpasst hat, schaut sie einfach später online in der Mediathek. Wer ein Lied toll findet, bedient sich einfach eines Internet-Portals und lädt es sich herunter. Digitalkameras können tausende von Bildern speichern und was einem nicht gefällt, wird gleich vor Ort gelöscht oder später unter Windows7 weiterverarbeitet. Bahnfahrende Raucher werden in eingezäunte Bereiche verbannt und selbst die Juniortüte heißt heute Happy Meal.

Jetzt sind wir im besten Jugendalter, kennen uns mit Windows7, Digitalkameras und Smartphones besser aus als unsere Eltern – und könnten trotzdem jederzeit problemlos wieder eine Reise in die Vergangenheit unternehmen und nichts wäre uns fremd. Ganz anders bei der heutigen Jugend, die all das, was unsere Kindheit ausgemacht hat, nicht mehr kennt. Und wer weiß schon, wie unsere eigenen Kinder eines Tages aufwachsen werden. Ob man all das, was es heute gibt, auch wirklich braucht?

Ich für meinen Teil bin froh, ein Kind der Achtziger sein zu dürfen. Ich bin froh über meine Digitalkamera und meinen Internetzugang. Und ich sehne mich nach den guten alten Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war und man nach einem langen Tag mit seinen Freunden völlig verdreckt, aber glücklich nach Hause kam. Ich bin stolz, dass das für mich noch Realität war und sich nicht nur in einem online-Rollenspiel zugetragen hat.

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2 Antworten zu Although I feel a lot older I’m just 23 (Milow: Born in the Eighties)

  1. isi schreibt:

    Kenn ich irgendwo her. Aber „dem Festnetz ist das Smartphone gewichen“? Die Grammatik üben wir noch mal…

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